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„Die Flüchtlingskrise ist nicht vorbei“

„In Südtirol ist die Zahl der Asylsuchenden letzthin stark zurückgegangen, weltweit jedoch zeigt sich ein ganz anderer Trend: Trotz Corona-Pandemie ist die Anzahl der Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, in den vergangenen Monaten weiter angestiegen. Die Flüchtlingskrise ist damit noch lange nicht vorbei“, sagt Caritas-Direktor Paolo Valente anlässlich des bevorstehenden Welttages des Flüchtlings am 20. Juni. Auch wenn die Caritas jetzt weniger Flüchtlingshäuser führt, ist ihr Einsatz für Menschen, die in Südtirol Schutz und eine neue Heimat suchen, nicht weniger geworden: Die Betreuung und Begleitung bei der Arbeits- und Wohnungssuche sowie verschiedene Integrationsprojekte sind ihre Schwerpunkte.

Laut offiziellen Daten sind in der Region Trentino-Südtirol derzeit insgesamt 1.185 Männer, Frauen und Kinder untergebracht (Stand Mai 2021), das sind 2 Prozent aller Geflüchteten in Italien und 35 Prozent weniger als noch vor einem Jahr. „Weil sich die Zahl der Asylsuchenden deutlich reduziert hat und sich momentan bei uns auch kein neuerlicher Anstieg abzeichnet, wurden eine Reihe der staatlichen Aufnahmezentren, die sog. CAS, geschlossen. Während es vor 6 Jahren noch 30 solcher Einrichtungen gab, sind es jetzt nur noch 15, ab Juli nur noch 13“, berichtet Alessia Fellin, Leiterin des Bereiches „Aufnahme“ bei der Caritas. „Auch wir haben mittlerweile 5 von den einst 11 Flüchtlingshäusern, die wir geführt haben, geschlossen, Ende Juni macht auch Haus Ruben zu. Momentan beherbergen wir noch rund 150 Personen, von denen die meisten noch auf ihren Asylbescheid warten. Am meisten von uns beherbergte Personen waren es im Jahr 2018 mit 657 Personen.“

Von diesen 150 Verbliebenen sind mehr als ein Drittel Frauen und über ein Fünftel Minderjährige. Die meisten warten nach wir vor auf ihren Asylentscheid bzw. das endgültige Gerichtsurteil. Bei diesen vielfach hochkomplexen Verfahren sind den Asylbewerber besonders die Beratungsstellen der Caritas eine große Hilfe. Rund 2.000 Antragssteller pro Jahr finden bei der Flüchtlingsberatung in Bozen Unterstützung. Wer das Anrecht darauf hatte, einen Schutzstatus zu erhalten, der wird alsdann von den 4 Migrantenberatungsstellen der Caritas auch weiter begleitet, die sich in Bozen, Meran, Schlanders/Mals und Bruneck befinden. Ziel ist es, dass die Migranten möglichst bald auf eigenen Beinen stehen können. Allein voriges Jahr haben knapp 3.300 Personen diese Unterstützung erfahren.

„Eine der größten Hürden bzw. Herausforderungen dabei ist die Integration in unsere Gesellschaft. Corona war hier alles andere als förderlich“, sagt Alessia Fellin. „Während vor der Pandemie die meisten Asylantragsteller einen Arbeitsplatz hatten, verloren viele diesen durch die Lockdowns. In den Lohnausgleich wurden nur wenige überstellt. Vor allem Frauen und Angestellte im prekären Niedriglohnsegment waren betroffen. An Anschluss an die Gesellschaft z.B. durch verschiedene soziale Projekte war wegen der auferlegten Distanz dann gar nicht mehr zu denken.“

Mit dem Arbeitsproblem einher geht natürlich auch das Wohnproblem. Die Caritas hat deshalb seit einigen Jahren eigens einen Dienst für die Wohnbegleitung ins Leben gerufen, das sog. Auszugsmanagement, das die Betroffenen, darunter auch viele Familien, dabei unterstützen soll, eine neue bzw. eigene Unterkunft zu finden. „Um leistbare Unterkünfte zu finden, ist die enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Netzwerkpartnern, der lokalen Bevölkerung und den Pfarreien sehr wichtig“, sagt Alessia Fellin. „Die Caritas begleitet hierbei nicht nur die Wohnungssuchenden, sondern auch die Vermieter. Ziel ist es, Missverständnisse und mögliche Probleme rechtzeitig zu vermeiden und so ein für beide Seiten zufriedenstellendes Verhältnis zu gewährleisten“, so Fellin.

„Die Bemühungen der Caritas und der vielen Menschen, die uns dabei unterstützen, fruchten nur, wenn wir auf eine aufgeschlossene Gesellschaft stoßen“, appelliert Caritas-Direktor Paolo Valente an die Bevölkerung. „Nur so ist es möglich, dass auch Flüchtlinge hier ihren Platz finden.“

 

Kontaktstellen der Caritas-Flüchtlingsarbeit:

Auszugsmanagement
Adresse: Sparkassenstraße 1, 39100 Bozen, Ansprechperson: Gertrud Rungaldier, Tel. +39 349 58 13 270, E-Mail: gertrud.rungaldier(at)caritas.bz.it

Flüchtlingsberatung
Adresse: Kanonikus-Michael-Gamper-Str. 10, 39100 Bozen, Ansprechperson: Luigi Gallo, Tel. 0471 304 770, E-Mail: fb(at)caritas.bz.it

MigrantInnenberatung Flori
Adresse: Mals und Schlanders, Ansprechperson: Barbara Romagnani, Tel. 39 334 16 30 106, E-Mail: flori(at)caritas.bz.it

MigrantInnenberatung InPut
Adresse: Paul von Sternbachstraße 6, 39031 Bruneck, Ansprechperson: Petra Untergasser, Tel. 0474 554 987, E-Mail: input(at)caritas.bz.it

MigrantInnenberatung Moca
Adresse: Galileo-Galilei-Straße (Ecke Verdistraße) Eingang Verdistraße, 39012 Meran, Ansprechperon: Leila Grasselli, Tel. 0473 495620, E-Mail: moca(at)caritas.bz.it

Migrantes
Adresse: Romstraße 85/A, 39100 Bozen, Ansprechperson: Sandro Tognolo, Tel. 0471 402 312, E-Mail: migrantes@caritas.bz.it

Migranten-Wortatlas

„Wir alle haben ein Innenleben. Wir alle fühlen uns als Teil der Welt und gleichzeitig aus ihr ausgeschlossen (…). Wir brauchen Worte, um auszudrücken, was wir in uns tragen“: Diese Sätze von Paul Auster drücken aus, was das Wortatlas-Projekt bewirken möchte, nämlich Asylsuchenden eine Stimme zu geben, die Möglichkeit, ihre Geschichten zu erzählen, ihre Gedanken auszudrücken und sich zu öffnen. Es ist eine Reise, um das eigene Selbst zu entdecken, die im Haus Aaron mit dem Autobiographie-Projekt „message in a bottle“ begonnen hat und an der 35 Bewohner des von der Caritas geführten Flüchtlingshauses aus Bangledesh, Pakistan, Irak, Guinea, Senegal, Nigeria, Marokko und Kenia teilgenommen haben. In den vergangenen 18 Monaten haben sie in Gesprächen und Interviews Worte gesucht, um ihr Leben zu beschreiben, ohne ihre Existenz allein auf das zu reduzieren, was sie auf ihrer Flucht zurückgelassen und scheinbar verloren haben.

„Der Philosoph Ludwig Wittgenstein war lange Zeit davon überzeugt, dass unsere Welt dort endet, wo unsere Worte enden. In diesem Sinn ist das Projekt für die Teilnehmer eine Möglichkeit, sich selbst wieder zu finden und die eigene Welt zurückzugewinnen. Sie alle haben eine lebensgefährliche Reise hinter sich, haben ihre Sprache, ihre Kultur und auch ihre Beziehungen zurückgelassen. Dass sie sich neue Worte aneignen, quasi für sich in Besitz nehmen, gibt ihnen die Möglichkeit, sich wieder lebendig zu fühlen in einem Umfeld, in dem sie viele Hindernisse zu überwinden haben“, erklärt der Caritas-Mitarbeiter Alessandro Pedrotti, der das Projekt betreut.

Die folgenden Aufnahmen stammen aus verschiedenen Gesprächen und Interviews mit den Projektteilnehmern.


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