„Ich habe in dieser Zeit nicht nur viele Menschen kennengelernt, sondern bin auch vielen Nöten, Sorgen und mitunter auch Missständen begegnet, die ich bis dahin in diesem Umfang nicht gekannt oder gar weit weg von unserer Wirklichkeit geglaubt habe. In den verschiedensten Diensten, welche die Caritas führt, bin ich häufig diesem ,anderen Südtirol‘ begegnet, das nach außen hin oft wenig bis gar nicht wahrgenommen wird“, sagt Mairhofer. „2022 hat sich leider gezeigt, dass die seelische Not in gleichem Maße gewachsen ist wie die finanzielle Not, wobei beides oftmals direkt im Zusammenhang steht.“
In der Psychosozialen Beratung der Caritas in Schlanders etwa ist die Anzahl der Betreuten stark angestiegen. Auffallend dabei: Es haben vermehrt über 60-Jährige um Hilfe gebeten. Rekordzahlen haben auch die Essensausgabe Clara in Bozen geschrieben (an manchen Tagen ca. 300 Personen täglich) sowie die Beratungsstellen für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund, wobei letztere deutlich mehr Frauen aufgesucht haben als in den Jahren davor. Dies erklärt sich zum Teil durch den Kriegsausbruch in der Ukraine; vorwiegend Frauen mit Kindern haben da Schutz auch hier in Südtirol gesucht.
Die Caritas Schuldner- und Sozialberatung indes haben deutlich mehr Menschen in Anspruch genommen, die zwar ein Einkommen haben, mit diesem aber nicht mehr auskommen. Auch in den Einrichtungen für Wohnungs- und Obdachlose wurden mehr Menschen aufgenommen, die zwar Arbeit und Einkommen haben, aber keine angemessene Wohnung finden – ein Problem, das sich in Südtirol immer mehr zur „mission impossible“ entwickelt.
Die bereits genannten Krisen, aber auch den Klimawandel spürten auch die Menschen, denen wir mit unseren Projekten in ihren Heimatländern Unterstützung bieten. In Ostafrika etwa haben Dürren und Überschwemmungen den Hunger vielfach verschärft. Zusätzlich zur Förderhilfe musste deshalb mancherorts auch Nothilfe geleistet werden. Diese war auch in der Ukraine und an ihren Grenzen gefragt seit dort im vergangenen Jahr im Februar der Krieg ausgebrochen ist. Über das Caritas-Netzwerk haben die kriegsbetroffenen Ukrainer viel Solidarität erfahren.
Trotz aller Schwierigkeiten gibt es aber auch Erfreuliches zu berichten: Über 295 neue Freiwillige haben sich bei der Caritas gemeldet und auch die Spendenbereitschaft war überwältigend groß. 2022 haben über 9.400 Spenderinnen und Spender die Arbeit der Caritas unterstützt: Über 650.000 Euro wurden für Not in Südtirol gespendet und über 2,95 Millionen Euro für Hilfsprojekte außerhalb des Landes, davon allein 1,75 Millionen Euro für die Ukraine (im Vorjahr waren es insgesamt 2,1 Millionen Euro).
„Es stimmt zuversichtlich, dass es so viele Menschen in unserem Land gibt, denen am Wohl des Nächsten gelegen ist und die unsere Arbeit und damit die sozial Benachteiligten unter uns unterstützen. Für sie ist Nächstenliebe kein bloßes Lippenbekenntnis, sondern ein konkreter Beitrag zu einer solidarischeren Gesellschaft. Das ist unbedingt notwendig, denn die Sorge, dass die Schere zwischen Arm und Reich und damit das soziale Ungleichgewicht zunimmt, ist groß“, meint Mairhofer abschließend.
Das „andere Südtirol“ der Caritas in Zahlen:
- 85.000 warme Mahlzeiten für Bedürftige
- 900 Frauen und Männer werden beherbergt
- 956 Freiwillige helfen mit
- 2.000 Hilfesuchende bei der Schuldnerberatung und der Sozialberatung
- 10.500 Gespräche bei der Telefonseelsorge
- 265 Männer, drei Viertel davon Väter, bei der Männerberatung
- 2.600 Beratungs- und Betreuungsleistungen bei psychischer Belastung
- 907 alte und kranke Menschen gepflegt
- 15.000 Stunden im Einsatz für Kranke und Sterbende
- 3.200 sinnvolle Geschenke
- 4.300 junge Menschen setzen sich für Solidarität und Nachhaltigkeit ein
- 6.500 Gäste in den Ferieneinrichtungen in Caorle und Cesenatico
- 7.000 Geflüchtete und Migrantinnen bzw. Migranten erhalten Informationen und Beratungen
- 700 Kinder werden über Kinderpatenschaften unterstützt
- 3,6 Millionen Euro Spenden