„Weiter verschärft hat sich das Problem der Unterkunft. Allein in unseren Caritas-Einrichtungen haben wir 2023 rund 1.000 Menschen aufgenommen, das ist ein deutlicher Anstieg zum Jahr zuvor, als es knapp 900 Personen waren“, sagt Mairhofer. „Die Nachfrage nach einer Unterbringung bei uns war sogar um etwa 30 Prozent höher, aber mehr Platz haben wir leider nicht.“ Betroffen sind vor allem alleinstehende Männer, Familien mit Kindern und Alleinerziehende. Deutlich zugenommen hat auch die Zahl der Frauen, die ohne feste Bleibe sind: 170 insgesamt, was einem Anstieg von 17 Prozent zum Jahr davor ausmacht. „Und es sind immer mehr jüngere Menschen, die keine Unterkunft haben, aber auch ältere mit körperlichen Gebrechen, die in einer Pflegeeinrichtung besser aufgehoben wären. Generell fehlen gerade für die Menschen, die sich an uns wenden, Alternativen auf dem normalen Mietmarkt – wo aber sollen sie hin?“, fragt sich Mairhofer.
Zugenommen hat auch die Zahl jener Personen, die zwar ein Einkommen haben, mit diesem aber nicht auskommen. Um ihre Wohnung nicht zu verlieren, haben sich viele an die Caritas Schulden- und Sozialberatung gewandt. Dort wurden 212.000 Euro an Spendengeldern ausgegeben, um vor allem Miet-, Strom und Arztrechnungen zu begleichen sowie Lebensmittel einzukaufen. „Diese Entwicklung ist besorgniserregend, sie ist eine Gefahr für den sozialen Frieden und die Gesellschaft an sich. Wenn sich zusehends mehr Menschen mit ihrem Einkommen schwertun, bedeutet das auch, dass immer mehr Menschen in die Einsamkeit abdriften, ihre Sorgen mit abhängig machenden Substanzen betäuben, auf der Straße landen, Familien zerbrechen, die sozialen Spannungen zunehmen, sie nicht mehr auf ihre Gesundheit schauen und anderes mehr“, warnt Caritas-Direktorin Beatrix Mairhofer vor dieser Spaltung der Gesellschaft.
Die Folgen zeichneten sich schon jetzt in den Caritas-Diensten ab, die sich um das seelische Wohlbefinden der Menschen kümmern: Auch dort ist die Nachfrage im Jahr 2023 überall angestiegen. In der Männerberatung etwa wurde eine Rekordzahl an Klienten und Beratungsgesprächen verzeichnet. „Das kann natürlich auch als ein gutes Zeichen angesehen werden, denn es zeigt, dass sich Männer nun auch Hilfe und Unterstützung suchen, wenn sie in Lebenskrisen geraten“, sagt Mairhofer. Während es sich hier in der Mehrzahl um Männer rund um die Lebensmitte handelt, meldeten sich in den anderen Caritas-Diensten, die sich um die seelischen Nöte der Menschen kümmern, auffällig viele ältere Menschen. „Die vielen Krisen und Unsicherheiten dieser Zeit gehen bei vielen nicht spurlos vorbei. Bei vielen machen sich Angst und Sorge um die Zukunft breit“, sagt Mairhofer.
Stark gefragt war auch die Betreuung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Kindern mit Beeinträchtigungen. „Die Nachfrage gerade bei Letzteren war groß, unsere Kapazitäten begrenzt. In anderen unserer Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen haben wir genauso wie alle anderen den Personalmangel gespürt“, sagt Mairhofer. Viele Caritas-Dienste beklagten aber auch die schleppende Bürokratie; viele ihrer Betreuten, besonders die mit Migrationshintergrund, müssten oft extrem lange Wartezeiten hinnehmen (z.B. für die Erneuerung der Aufenthaltsgenehmigung oder die Eintragung des Wohnsitzes); auch seien viele bei bürokratischen Angelegenheiten überfordert, was die Mitarbeitenden viel Mühen und Zeit koste.
Als große Stütze wertet die Caritas deshalb die noch immer hohe Zahl an freiwilligen Helfern, ohne die sie viele Dienste und Unterstützungsmaßnahmen nicht verrichten könnte. „Knapp 1.200 Frauen und Männer haben wieder das ganze Jahr über mit angepackt und ihre Hilfe angeboten. Ihnen gilt unser ganz großer Dank“, sagt Mairhofer. Dankbar zeigt sich die Caritas-Direktorin aber auch gegenüber der Großzügigkeit der Südtiroler Bevölkerung: über 8.200 Spenderinnen und Spender haben die Arbeit der Caritas unterstützt: 850.000 Euro wurden für Not in Südtirol gespendet und über 2,4 Millionen Euro für Hilfsprojekte außerhalb des Landes. Bei Letzteren gingen allein für die großen Erdbeben in der Türkei/Syrien und in Marokko insgesamt 970.000 Euro ein, 860.000 für die Hungerhilfe in Afrika, 170.000 Euro für die Ukraine-Hilfe und 70.000 Euro für die Hilfe bei der Überschwemmungskatastrophe in der Emilia Romagna.
„Das andere Südtirol 2023“ der Caritas in Zahlen:
- 1.000 Frauen, Männer und auch Kinder beherbergt
- 235 Gäste in den 4 Aufnahmezentren für Geflüchtete und Asylsuchende
- 1.821 Hilfesuchende bei Schulden- und Sozialberatung
- 1.200 Freiwillige
- 366 Männer bei Männerberatung
- 577 Personen mit psychischen Erkrankungen sowie Suchtproblemen begleitet
- 11.043 Gespräche bei der Telefonseelsorge
- 63.300 warme Mahlzeiten in Essensausgaben in Bozen und Brixen verteilt
- 7.269 Gäste in den Ferienanlagen in Caorle und Cesenatico
- 3,29 Millionen Euro Spenden