In Südtirol wurden 2016 mehr als 18.500 Menschen wegen verschiedener psychischer Probleme, Erkrankungen oder Störungen von den öffentlichen Fachdiensten behandelt, das sind rund 4 Prozent der Bevölkerung. Insgesamt wurden fast 14.000 Psychotherapien durchgeführt, über 3.000 Patienten mussten sogar stationär in Krankenhäusern aufgenommen werden. „Vor allem in den vergangenen Jahren scheint die Zahl von Menschen zuzunehmen, die sich in einer akuten, psychisch belastenden Lebenssituation befinden. Das beobachten wir auch in unseren verschiedenen Diensten. Diese Menschen leiden unter großem psychischen Druck, Ängsten, Schlaf- und Konzentrationsstörungen oder depressiven Verstimmungen. Die Auslöser dafür können Probleme in der Familie, in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz, oder das belastende Gefühl der inneren Einsamkeit sein“, sagt Caritas-Direktor Paolo Valente. Und noch etwas sei zu beobachten: „Der betont leistungs- und konsumorientierte Lebensstil unserer Gesellschaft wirkt sich nicht immer positiv auf die Menschen aus: Einige Frauen und Männer glauben, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Doch auch Veränderungen machen den Menschen zu schaffen, wie etwa sich ändernde Rollenbilder, Migration, zunehmende Digitalisierung. Gar einige haben deswegen Angst, ihren Platz in der Gesellschaft zu verlieren ¬– das setzt sie wiederum stark unter psychischen Druck und kann auch zu ernsthaften seelischen Erkrankungen und sogar zur Suizidgefährdung führen.“
„Deshalb ist es wichtig, sich rechtzeitig Hilfe und Unterstützung zu holen“, weiß Christian Folie, der Leiter der Psychosozialen Beratung der Caritas in Schlanders. Hier haben 2016 knapp 400 Frauen und Männer Hilfe gesucht und erfahren. Suchtprobleme, Essstörungen sowie emotionale und andere Belastungsstörungen wie Burnout standen dabei im Vordergrund. „Oft sind es die Angehörigen, die den ersten Schritt machen und damit sich selbst, aber auch den Betroffenen Möglichkeiten der Bewältigung ihrer Probleme öffnen. Leidet jemand nämlich an einer psychischen Störung wie z.B. einem Burnout, schafft er es oft gar nicht erst aus dem Haus“, sagt Folie.
Deshalb sei die Zusammenarbeit mit Angehörigen und Netzwerkpartnern auch so wichtig, ebenso wie die Sensibilisierung und die Präventionsarbeit in der Gesellschaft. Besonders psychisch Kranken gegenüber herrscht nämlich viel Unwissen und Unsicherheit, auch weil diese aufgrund ihrer Erkrankung mit dieser sog. ,normalen‘ Gesellschaft nicht mehr Schritt halten können. „Dabei ist gerade für sie ein Stück ,Normalität‘, wie z.B. ein strukturierter Tagesablauf, wichtig“, sagt Monika Verdorfer, die Leiterin des Tagesclub in Meran. Es handelt sich hierbei um einen offenen Treffpunkt für psychisch kranke Menschen aus dem Burggrafenamt, den durchschnittlich über 20 Männer und Frauen am Tag besuchen. „Hier dürfen sie so sein wie sie sind, sie werden unabhängig von ihrer Diagnose angenommen und individuell begleitet. Das Hauptaugenmerk liegt darin, ihre Lebensqualität zu verbessern.“
Es sind noch eine Reihe weiterer Caritas-Dienste, welche Menschen in seelischer Not und mit psychischen Erkrankungen beistehen:
- Die Männerberatung mit Büros in Bozen, Meran und Brixen: Hier ist die Anteil der Ratsuchenden bei psychischen Problemen, Lebenskrisen und Trennungen 2016 von 33 Prozent der Betreuten auf 42 Prozent angestiegen.
- Die Telefonseelsorgemit der Grünen Nummer 840 000 481: Die meisten der im vergangenen Jahr geführten rund 10.000 Telefongespräche drehten sich um das Thema Einsamkeit und andere psychische Belastungen. Bei immerhin 94 Anrufen stand sogar explizit das Thema Suizid im Vordergrund.
- Die Hauspflege im Burggrafenamt: Die 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um mehr als 900 pflegedürftige Personen, darunter neben der Hauptzielgruppe Senioren auch immer mehr um Minderjährige und Erwachsene mit sozialen Schwierigkeiten, Sucht- bzw. psychischen Problemen.
- Die TagesförderstätteMosaik in Meran: Hier wird die Selbständigkeit von Kindern und Jugendlichen im autistischen Spektrum gefördert.
- Der Dienst Integra, ebenfalls in Meran: Es handelt sich hier um eine Art Werkstätte für Menschen mit Beeinträchtigung, in der zunehmend mehr Personen mit psychischen Störungen und Abhängigkeitserkrankungen betreut werden; hier wird ihnen ein individuelles Jobchoaching geboten und über den Integra Treffpunkt am Nachmittag ein umfangreiches Freizeit- und Bildungsangebot, immer auch in enger Zusammenarbeit mit den Fachdiensten.
- Die Hospizbewegung: Sie ist Ansprechpartner und Begleiter für Menschen, die durch Sterben, Tod und Trauer aus dem seelischen Gleichgewicht geraten und deshalb dringend Hilfe brauchen.
Bei den meisten der genannten Caritas-Dienste ist die Einbindung und Mitarbeit von Freiwilligen unabdingbar. „Die Freiwilligen prägen überdies ihr eigenes soziales und berufliches Umfeld und spielen als Multiplikatoren eine wesentliche Rolle im Hinblick auf die Aufmerksamkeit, die Rücksichtnahme, die Enttabuisierung und die Offenheit im Umgang mit den betroffenen Menschen. Sich trauen hinzuschauen und durch achtsame Nachbarschaftshilfe Mitmenschlichkeit zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen, darum geht es konkret – beim Caritas-Sonntag, aber auch weit darüber hinaus“, sagt Brigitte Hofmann, die Leiterin des Dienstes Freiwilligenarbeit und Pfarrcaritas. Diese Achtsamkeit sollen auch die Postkarten symbolisieren, welche die Pfarrcaritas am Caritas-Sonntag an die Gottesdienstbesucher verteilen wird.
Doch nicht nur die Fachdienste und gemeinnützigen Organisationen seien gefordert, sondern die ganze Gesellschaft. „Menschen mit psychischen Erkrankungen brauchen die volle gesellschaftliche Teilhabe, ohne Vorurteile oder gar Diskriminierung. Das bedeutet auch, dass sie angemessene Freizeitangebote und -möglichkeiten sowie Begegnungen mit anderen Menschen benötigen“, ruft Direktor Paolo Valente die Bevölkerung zur Solidarität mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen auf. „Beziehungen zu anderen Menschen wirken sich auch positiv auf die eigene Lebensqualität und psychische Gesundheit aus.“
Menschen in einer seelischen Notsituation ermutigt der Caritas-Direktor, sich zu offenbaren, ihr Umfeld ihr Leid erkennen zu lassen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das gleiche gelte für Angehörige und Freunde, die sich um eine Person Sorgen machen. Auch sie sollten nicht zögern, umgehend Unterstützung zu suchen. Hier sind die erwähnten Caritas-Dienste oder Selbsthilfegruppen eine wichtige erste Anlaufstelle, um die richtigen Schritte zur Behandlung der psychischen Erkrankung in die Wege zu leiten. „Denn ohne professionelle Hilfe können psychische Probleme schwerwiegende Folgen haben, sowohl für die Betroffenen selbst als auch für das gesamte Umfeld“, warnt Valente.
Die Hilfsaktion der Caritas „(Seelische) Not ist näher als du denkst“ will Mut machen und zur Solidarität anhalten. „Wenn wir alle etwas näher hinschauen und den Sorgen und Nöten unserer Mitmenschen nicht gleichgültig gegenüberstehen, kann viel Not rechtzeitig abgefangen werden. In Südtirol gibt es zum Glück eine Reihe von Menschen, die sich für ihre Nächsten einsetzen und die Caritas bei ihrer Arbeit unterstützen. Die einen tun dies, indem sie ihre Zeit und ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen, die anderen drücken ihre Solidarität über Spenden aus“, sagt Valente. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Kirchensammlung an diesem Sonntag, dem Caritas-Sonntag, und auf die Möglichkeit, die Arbeit der Caritas für Menschen in Not in Südtirol mittels einer Banküberweisung unter dem Kennwort „Caritas“ zu unterstützen.
Die Spendenkonten der Caritas:
Raiffeisen Landesbank, IBAN: IT42 F0349311600000300200018;
Südtiroler Sparkasse, IBAN: IT17 X0604511601000000110801;
Südtiroler Volksbank, IBAN: IT12 R0585611601050571000032
Intesa Sanpaolo, IBAN: IT18 B0306911619000006000065
Bozen, den 15. November 2017