„Die Caritas Telefonsseelsorge entstand im Jahr 2002 in Zusammenarbeit mit der Diözese auf Anregung der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft hin. Es war die Zeit, in der man sich erstmals den seelischen Nöten der Menschen zuwandte. So hatte die Caritas erst ein Jahr zuvor die Männerberatung eröffnet und vier Jahre zuvor die Hospizbewegung“, erinnert sich Caritas-Direktor Franz Kripp an die Anfänge. „Die Idee dafür, auch in Südtirol eine Telefonseelsorge zu gründen, kam unserem damaligen Zentralpräsidenten Josef Plankensteiner aufgrund eines ORF_Fernsehberichtes zum Thema Suizid und die darin erwähnte Hilfestellung durch die österreichische Telefonseelsorge. Mit der Südtiroler Caritas arbeiten wir seitdem finanziell unterstützend bei der hiesigen Telefonseelsorge mit. Der organisatorische Aufwand für uns als Vinzenzgemeinschaft wäre zu groß gewesen“, bescheinigt Siegfried Holzer, der heutige Zentralpräsident der Vinzenzgemeinschaft.
Tatsächlich entwickelte sich die Telefonseelsorge zu einem Erfolgsmodell. „Rund 95.000 Anrufe sind in diesen 15 Jahren bei uns eingegangen; letzthin bewegten sich die Zahlen bei 10.000 Anrufen pro Jahr. Im Schnitt bedeutet das 28 Anrufe pro Tag bzw. Nacht“, berichtet Silvia Moser, welche die Telefonseelsorge von Anfang an leitete. Der Dienst wird das ganze Jahr über rund um die Uhr angeboten (auch an Sonn- und Feiertagen). „Möglich ist dies nur dank der Mithilfe der über 80 Freiwilligen, die dafür eine umfassende Ausbildung erhalten und regelmäßig Supervisions- und Weiterbildungsangebote besuchen“, sagt Moser. Denn für den, der bei Caritas Telefonseelsorge anruft, zählt jedes Wort. „Das trifft umso mehr auf Menschen zu, die am Telefon ankündigen, sich das Leben nehmen zu wollen“, sagt Moser. Ihr Anteil bewegt sich jährlich bei etwa einem Prozent (94 Anrufe). „Rein rechnerisch erscheint das wenig, doch hinter diesen 94 Anrufen steht in jedem einzelnen und individuellen Fall ein Mensch, bei dem es wirklich um Leben oder Tod geht. Dazu kommt noch eine Reihe von Anrufern (mehr als die Hälfte), welche auf Grund ihrer chronischen seelischen Instabilität tendenziell auch gefährdet sind“, weiß Moser.
Dass „Suizid“ in Südtirol ein großes Thema ist, das bestätigt Roger Pycha, Primar des psychiatrischen Dienstes in Bruneck: „Wir gehen davon aus, dass sich in Südtirol pro Woche eine Person das Leben nimmt und dass täglich ein bis drei Suizidversuche stattfinden. Diese Zahlen sind die höchsten in Italien, gleichen aber denen von Deutschland und sind niedriger als in Österreich und der Schweiz. Doch jeder dieser Toten und Gefährdeten ist einer zu viel“, sagt Pycha. „Am meisten gefährdet sind Menschen, die psychisch krank sind oder ein Suchtleiden haben. Ein erhöhtes Suizid-Risiko tragen ältere Menschen, Männer, unfreiwillig Vereinsamte, sprich Geschiedene und Witwer, Arbeitslose, an unheilbaren Krankheiten leidende Personen und allgemein Menschen in schweren Krisen“, sagt Pycha. „Doch weiß man heute auch gut, was dagegen hilft: gute soziale Beziehungen und ein Leben voller Pläne und Vorhaben, die sinnvoll und wichtig erscheinen.“
Dies bestätigt auch Silvia Moser von der Telefonseelsorge: „„Wenn ein Mensch Suizidgedanken äußert, gilt es hellhörig zu sein. Das sind schlichtweg Hilfeschreie. Da sollte man hinhören und nachfragen ohne Angst zu haben, etwas falsch zu machen“, erklärt Moser. Reden könne wirklich helfen und ein erster Schritt aus der Einsamkeit bzw. Ausweglosigkeit sein. Dass sich Menschen dabei in der eigenen Muttersprache leichter tun, das spielte seinerzeit auch bei den Überlegungen für die Gründung einer eigenen Telefonseelsorge mit. „Auf italienischer Seite gab es ja schon das ,Telefono Amico‘, das auch in Südtirol für Menschen in Krisensituationen erreichbar war und ist. Die beiden Angebote stehen nicht in Konkurrenz zueinander, ganz im Gegenteil, es wird sogar gegenseitig darauf verwiesen, wenn es aufgrund sprachlicher Bedürfnisse erwünscht ist“, unterstreicht Caritas-Direktor Paolo Valente die gute Zusammenarbeit.
Bereichsleiter Guido Osthoff verweist zum Abschluss an den Vortrag, welchen die Caritas Telefonseelsorge zu eben ihrem 15-jährigen Bestehen und zum Thema „Suizid: Der Schrei nach Leen“ organisiert. Sie hat dazu den Niederländer Viktor Staudt eingeladen. Er wird am 4. Mai um 20 Uhr in der Sparkasse Academy in Bozen (Sparkassenstraße 16) über seinen misslungenen Selbstmordversuch und sein wiedergewonnenes Leben berichten. Staudt hat sich vor 17 Jahren in Amsterdam vor einen Zug geworfen und dabei beide Beine verloren. Erst nach einem langen Leidensweg hat er schließlich Hilfe im Umgang mit seiner Depression erfahren. Um Menschen, die sich in einer ähnlich ausweglosen Situation befinden, neuen Mut zu schenken, hat er ein Buch („Die Geschichte meines Selbstmords. Und wie ich das Leben wiederfand“) geschrieben und hält dazu seitdem zahlreiche Vorträge im deutschen Sprachraum. Die Veranstaltung wird von den „Dolomiten“ als Medienpartner unterstützt.
Zahlen, Daten, Fakten zur Telefonseelsorge:
- Eröffnung im Jahr 2002
- Bisher insgesamt 95.000 Anrufe, bis Jahresende schätzungsweise mehr als 100.000
- Seit vier Jahren 10.000 Anrufe jährlich, im Schnitt 28 Anrufe pro Tag bzw. Nacht
- Die Hälfte der Anrufenden sind zwischen 40 und 59 Jahre alt
- Bis zu 45 Prozent der Anrufer sind männlich
- Einsamkeit: dieses Thema kommt am häufigsten zur Sprache
Die Caritas Telefonseelsorge ist unter der Grünen Nummer 840 000 481 Tag und Nacht durchgehend zu erreichen, speziell auch an Sonn- und Feiertagen, wenn die Einsamkeit für viele noch deutlicher spürbar wird als an anderen Tagen.