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Vom Gefängnis zurück in die Gesellschaft: 20 Jahre Odòs

Ein neues Modell für einen menschlicheren Strafvollzug, in dem Strafe nicht notwendigerweise Gefängnis bedeutet, in dem auch die Opfer einen Weg der Aussöhnung finden und dadurch das Erlebte aufarbeiten können: Darüber wurde heute im Rahmen einer Fachtagung im Festsaal der Gemeinde Bozen diskutiert. Sie stand unter dem Motto „Der Weg zurück beginnt im Gefängnis“. Dazu eingeladen hat der Caritas-Dienst Odós anlässlich seines 20jährigen Bestehens. Odós begleitet Menschen, die eine Haftstrafe oder alternative Strafen verbüßen, die auf ein Urteil warten, oder die nach dem Gefängnisaufenthalt einen Weg zurück in die Gesellschaft suchen und berät auch deren Angehörige. „Wenn man Menschen im Strafvollzug einfach nur wegsperrt, haben sie danach noch weniger Perspektiven als vorher. Die Gefahr, dass sie wieder in die Kriminalität zurückfallen, wird dadurch noch größer“, betonte der Leiter des Caritas-Dienstes, Alessandro Pedrotti, bei der heutigen Tagung. Eine sinnvolle Begleitung auf dem Weg zurück in die Gesellschaft und in die Arbeitswelt sei wesentlich effektiver und bedeute auch ein Stück mehr Menschlichkeit und Sicherheit für alle.

In den vergangenen 2 Jahrzehnten haben über 400 Menschen bei Odòs Hilfe und eine Unterkunft gefunden. Mitarbeiter und Freiwillige des Caritas-Dienstes haben in diesem Zeitraum über 2.000 Mal Beratungen angeboten, Gespräche geführt und die Häftlinge im Gefängnis besucht. Dabei hat alles ganz klein angefangen, und zwar vor genau 20 Jahren am 1. März 1999. Damals startete Odós versuchsweise als Pilotprojekt in einer Wohnung in der Bozner Drususstraße mit insgesamt 5 Schlafplätzen. Heute hat der Dienst seinen Sitz in der Venedigerstraße, wo insgesamt 15 Plätze als vorübergehende Unterkünfte zur Verfügung stehen. Jedes Jahr werden dort 20 und 30 Personen aufgenommen. „Der Name ‚Odòs‘ bedeutet auf Griechisch ‚Weg‘ und ist für uns Programm: Wir möchten neue Wege aufzeigen und Chancen auf Veränderung – nicht nur für Menschen, die straffällig geworden sind, sondern für die ganze Gesellschaft. Denn jeder Verurteilte, der bis zum letzten Tag seiner Strafe im Gefängnis bleibt, bedeutet eine Niederlage für die ganze Gesellschaft“, betont Alessandro Pedrotti. In Rahmen der heutigen Fachtagung wurde daher nicht nur auf die vergangenen 2 Jahrzehnte zurückgeblickt, sondern vor allem auch neue, sinnvolle Modelle des Art des Strafvollzuges angedacht. „Wir, die Institutionen aber auch die Gesellschaft, müssen uns fragen, für welche Art des Strafvollzuges wir uns zukünftig einsetzen wollen“, so Pedrotti.

An der Diskussion beteiligt haben sich im Laufe der Tagung Fachleute aus Südtirol, aber auch namhafte Pädagogen aus dem italienischen Staatsgebiet. Duccio Demetrio, Professor an der Universität Bicocca und Gründer der „Libera Università dell’autobiografia“ zeigte auf, wie wichtig es für Menschen im Gefängnis ist, das eigene Leben, die eigenen Taten schriftlich aufzuarbeiten, um neue Zukunftsperspektiven zulassen zu können. Ivo Lizzola, ordentlicher Professor an der Universität von Bergamo, wies in seinem Referat darauf hin, dass eine Begleitung nur dann Sinn macht, wenn dem Einzelnen auch die Freiheit zugestanden wird, Fehler zu machen und Dinge kritisch zu hinterfragen.

Ergreifend war das Zeugnis von Manlio Milani, dessen Frau beim Bombenanschlag von 1974 an der Piazza della Loggia in Brescia gestorben ist. Er hat danach das Haus des Gedenkens gegründet, in dem das Blutbad von Brescia und die Gewalt des Terrors dokumentiert werden. „In der Opferrolle und im Zorn zu verharren, bringt niemandem etwas Gutes. Am wenigsten einem selbst. Denn dann hat man keine Chance, das Vorgefallene aufzuarbeiten und die Hintergründe zu verstehen“, so Milani.

Er selbst setzt sich seit Jahren für einen Strafvollzug ein, der Wiedereingliederung und nicht Rache im Blick hat. Dazu hat er mit weiteren Angehörigen von Opfern gewalttätiger Terroranschläge eine gemeinsame Gesprächsgruppe mit den Tätern gegründet, die diese Anschläge verübt haben. „Man muss sich auch mit den Tätern auseinandersetzen. Denn jeder Mensch hat eine Geschichte und eine Persönlichkeit. Deshalb ist es unmöglich, ihn nur auf die Straftat zu reduzieren, die er begangen hat“, so Manlio. Wie wichtig Wiedereingliederungsprojekte im Strafvollzug auch für die allgemeine Sicherheit sind, belegen die offiziellen Zahlen in Italien: Nur 20 Prozent der Häftlinge, die alternative Strafen verbüßen oder an Integrationsprojekten teilnehmen, werden später wieder straffällig. Von den Häftlingen, die keinerlei Begleitung erfahren, fallen fast 70 Prozent wieder in die Kriminalität zurück. Entsprechend sieht es Odós als seine Aufgabe an, Brücken zwischen dem Gefängnis und der Gesellschaft zu bauen, und den Menschen, die in Konflikt mit der Justiz geraten sind, neue, auf Legalität basierende Wege aufzuzeigen. „Oft hören wir Sätze wie ‘die sollte man wegsperren und den Schlüssel wegwerfen’. Dann denke ich umso mehr an die hauptamtlichen und freiwilligen Mitarbeiter von Odós, die diese weggeworfenen Schlüssel aufsammeln. Und wenn sie keinen finden, machen sie einen neuen. Sie bieten Alternativen an, erste Schritte auf einem Weg, der in die Freiheit und in ein selbstverantwortliches Leben führt“, unterstreicht auch Caritas-Direktor Paolo Valente.

Als Brücken zwischen dem Gefängnis und der Welt draußen fungieren auch zwei von Odòs geführte, so genannte Trainingswohnungen. Dort kommen Frauen und Männer unter, die nach einem Gefängnisaufenthalt alternative Strafen verbüßen. Sie trainieren dort, mit dem Alltag außerhalb der Gefängnismauern wieder zurecht zu kommen, damit sie später wieder auf eigenen Beinen stehen können. Eine weitere Wohnung steht Häftlingen und ihren Angehörigen zur Verfügung, damit sie etwas Zeit als Familie verbringen können.

Angesprochen wurde bei der Tagung auch die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten im Strafvollzug tätigen Stellen, die bereits Früchte trägt: So wurde erst kürzlich eine Vereinbarung zwischen der Staatsanwaltschaft Bozen und der Caritas unterschrieben, die Unterkunft und Begleitung bei alternativen Strafen vorsieht. Den Frauen und Männern, die eigentlich alternative Strafen verbüßen dürften, aber ohne feste Unterkunft trotzdem im Gefängnis bleiben müssen, soll zukünftig eine Unterkunft garantiert werden. Jenen, die alternative Strafen in ihren eigenen Unterkünften verbüßen, sollen zukünftig mehr Begleitung auf dem Weg zurück in die Gesellschaft erhalten. „Menschen beizustehen, die zwar zuhause, aber nicht frei sind, bedeutet, Beziehungen zu knüpfen und den Teufelskreis der Einsamkeit zu durchbrechen“, betont die Caritas-Mitarbeiterin Paola Spagnoli, die bei Odós das Freiwilligenprojekt „Der unsichtbare Klient“ betreut. Das bestätigten auch ehemalige Häftlinge, die über den Caritas-Dienst Hilfe erfahren haben. Beziehungen seien die wichtigste, wenn nicht gar die einzige Grundlage, auf der Veränderungen möglich werden. Ohne Mithilfe in der Gesellschaft, sei eine Resozialisierung nicht möglich.


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