„Nur wenige Frauen leben offen sichtbar auf der Straße. Viele verdecken ihre Wohnungslosigkeit so lange als möglich, weil sie sich schämen und die Gefahren für sie auf der Straße größer sind als dies etwa bei Männern in einer ähnlichen Situation der Fall ist. Zunächst suchen sie Unterschlupf bei Angehörigen und Bekannten, gehen Zwangsgemeinschaften ein oder leben unter unzumutbaren Bedingungen. Viele von ihnen harren auch in Gewaltbeziehungen aus oder gehen neue Beziehungen ein, um einen Schlafplatz zu haben“, berichtet Caritas-Direktorin Mairhofer. „Sie geraten so häufig in Abhängigkeit, sind dabei oft auch vielen Nötigungen und offener Gewalt ausgesetzt.“
Viele der betroffenen Frauen könnten sich, so wie natürlich Männer auch, auf dem teuren Südtiroler Wohnungsmarkt keine eigene Wohnung leisten. „Doch während es für die Männer eine Reihe von Unterbringungsmöglichkeiten gibt – von den Notunterkünften angefangen über die Einrichtungen für Wohnungslose bis hin zu Arbeiterwohnheimen – ist das Angebot für Frauen äußert begrenzt“, sagt Mairhofer. Die Caritas führe eine der raren Unterkünfte nur für wohnungslose Frauen in Südtirol: das Haus Margaret in der Bozner Kapuzinergasse.
„Hier haben wir im vergangenen Jahr 19 Frauen beherbergt“, berichtet Michela Bertin, die Leiterin von Haus Margaret. „Viele von ihnen arbeiten, erhalten aufgrund ihrer fehlenden Sprachkenntnisse bzw. Schulausbildung allerdings nur Anstellungen im Niedriglohnbereich. Auch sog. ,badanti‘ kommen zu uns, weil die Person, um die sie sich gekümmert haben, verstorben ist und sie daraufhin die Wohnung verlassen müssen. Wir beherbergen aber auch einige alleinerziehende Mütter, deren Kinder daher getrennt von ihnen in einer Fremdunterkunft untergebracht sind. Das ist oft besonders bitter, weil diese Frauen durchaus imstande wären, auf ihre Kinder zu schauen, aber leider nicht genug verdienen, um sich die teuren Mieten und eine Kinderbetreuung leisten zu können“, sagt Bertin. Ein besonderer Gästetypus seien Frauen im Pensionsalter. „Sie sind für das Altersheim zu jung und ihre Rente für eine eigene Wohnung zu klein“, bringt es Bertin auf den Punkt. „Sie haben niemanden, der auf sie schaut. Deshalb ist das Haus Margaret oft ihre einzige Rettung.“ Die Warteliste gestalte sich bei ihnen deswegen auch dementsprechend lang.
Eine deutliche Zunahme an Frauen verzeichnet die Caritas auch in ihren Obdachloseneinrichtungen in Meran. „Im Haus Arché und den angeschlossenen Einrichtungen haben wir mit 26 Frauen, denen wir 2022 Obdach gegeben haben, einen bisherigen Höchststand erreicht (17 waren es im Jahr davor). Die meisten davon befinden sich in einer prekären Arbeitssituation oder haben ihre Arbeit verloren, darunter auch einige ,badanti‘. Auch Südtirolerinnen werden immer mal wieder bei uns vorstellig. Sie sind meist sehr jung und leiden häufig an einer Sucht- und anderen psychischen Erkrankungen. Auch im Nachtquartier, unserer Notschlafstelle, stehen immer 2 Plätze für Frauen, abgegrenzt von den Männern, bereit. Untertags sind diese Frauen dann jedoch auf der Straße“, sagt Monika Verdorfer, die Leiterin dieser Einrichtungen,„außer sie werden anderweitig betreut.“ Obwohl auch Unterkünfte der Caritas in Meran allesamt mehr auf Männer ausgerichtet seien, bemühe man sich trotzdem, den spezielleren Bedürfnissen der Frauen entgegenzukommen: „Das fängt beim Schutz der Privatsphäre an und geht bis hin zur Betreuung beispielsweise von schwangeren Frauen“, so Verdorfer. „Wenn es irgendwie machbar ist, dann bringen wir die Frauen in unseren fast autonomen Wohnprojekten unter, die wir als Caritas in Meran, aber auch in Bozen, Kaltern und Brixen haben.“
Wie schwer sich gerade Frauen mit Migrationshintergrund auf dem Südtiroler Wohnungsmarkt tun, darüber berichtet Alessia Fellin, die Leiterin des Bereiches „Aufnahme“ der Caritas: „Die meisten Frauen, die aus ihren Ländern geflüchtet und in Südtirol gestrandet sind, haben einen Partner. Die meisten Flüchtlingsunterkünfte sind deshalb auf Männer und Familien ausgerichtet. Frauen, die allein sind, kommen nur wenige. Sie sind generell sehr jung und unerfahren, schwanger oder mit Kleinkindern, traumatisiert. Sie haben es besonders schwer, weil sie hier niemanden kennen, die Sprache nicht beherrschen und sich dadurch weder auf dem Arbeitsmarkt zurechtfinden, noch bei der Kinderbetreuung“, sagt Fellin. Ausländische Frauen werden auch bei Migrantes in Bozen aufgenommen, wo die Caritas ebenfalls verschiedene Unterbringungsmöglichkeiten für Einwanderer anbietet. In dem Arbeiterwohnheim wohnten 2022 4 Frauen (von insgesamt 72 Bewohnern); in der dazugehörigen und danebenliegenden Herberge indes betrug der Frauenanteil schon 17 Prozent, sprich 24 Bewohnerinnen; allein 20 davon sind bereits über 50 Jahre alt und arbeiten meist als sog. „badanti“. „Hier hat die Nachfrage von Frauen zugenommen“, sagt Fellin.
Es gibt dann natürlich noch Frauen mit schweren gesundheitlich/sanitären Problemen, die bei der Caritas Schutz und Hilfe suchen. Im Haus Emmaus in Leifers, der Wohneinrichtung für AIDS-kranke Menschen, beispielsweise wurden im vergangenen Jahr 7 Frauen von insgesamt 21 Gästen beherbergt; 5 davon sind Langzeitpatientinnen. „Sie leiden ganz besonders unter der Stigmatisierung und ziehen sich deshalb oft völlig aus der Gesellschaft zurück. Für sie ist es undenkbar und auch nicht möglich, je wieder eine eigene Wohnung zu finden. Auch bei unseren Besucherinnen im Bahngleis7, der Tageseinrichtung für Menschen mit Suchtproblemen, ist es ähnlich: Auch dorthin kommen viel weniger Frauen als Männer, weil sie sich nicht ,outen‘ wollen oder stattdessen familiäre Verpflichtungen wahrnehmen; die meisten von ihnen leben auch nicht auf der Straße, sondern mit einem Partner zusammen, bei dem sie glauben, im Milieu besser zurechtzukommen“, berichtet Caritas-Direktorin Beatrix Mairhofer.
Von den insgesamt 865 im Jahr 2022 von der Caritas beherbergten Personen sind rund 200 erwachsene Frauen, davon knapp ein Viertel alleinstehende Mütter mit minderjährigen Kindern. Die meisten Einrichtungen, in denen sie aufgenommen wurden, führt die Caritas im Auftrag der öffentlichen Hand. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass es erforderlich ist, in Südtirol die Anlaufstellen für Frauen auszubauen und mehr Wohneinrichtungen allein für Frauen und auch für Frauen mit Kindern, die älter als 4 Jahre sind (bis dahin dürfen sie in Mütter-Kind-Zentren bleiben), zu schaffen“, unterstreicht Caritas-Direktorin Beatrix Mairhofer abschließend. „Nur so können sie ihr Frausein und ihr Muttersein in Freiheit und in Würde leben.“